FF*GZ visits MüZe: Die Medizin der Maya – und wem gehört die Natur?
Im Rahmen der Reihe „FF*GZ visits MüZe“ und anlässlich des Besuchs unserer langjährigen Partnerorganisation OMIECH aus Mexiko laden wir am 16. September ab 15 Uhr dazu ein, bei einer Filmvorführung und zwei Workshops die Medizin der Maya näher kennenzulernen; außerdem widmen wir uns der Frage, wem die Natur eigentlich gehört.
Hintergrund ist die Beteiligung des FF*GZ Stuttgart e.V. an der mittlerweile vierten Einladung von Mitarbeiter*innen des indigenen Projektes OMIECH, der Organisation indigener Heiler, Heilerinnen und Hebammen aus dem Hochland von Chiapas, Mexiko.
Bei ihrem Besuch berichtet Micaela Ico Bautista, Mitbegründerin und Koordinatorin des Bereichs der Frauenheilkunde bei OMIECH, vor welchen Herausforderungen die traditionelle Maya-Medizin heute steht. Denn ihr Pflanzenwissen ist von der Enteignung durch große Pharmafirmen bedroht und die traditionelle Geburtshilfe der Maya-Hebammen akut gefährdet.
Seit vielen Jahren gibt es Programme der Regierung in Chiapas, um die traditionelle Geburtshilfe der Maya-Hebammen zu eliminieren. So bekommt beispielsweise ein im Hochland geborenes Kind nach einer von einer Maya-Hebamme begleiteten Geburt keinen offiziellen Eintrag ins Geburtsregister und ist dadurch quasi als Mensch nicht existent auf der Welt.
Darüber hinaus werden den indigenen Frauen, die sich vorstellen können, Hebammen zu werden, sogenannte „Qualifikationsprogramme“ in den Krankenhäusern angeboten, um als Hebammen zu arbeiten. Diese in den letzten Jahren geschaffenen Zertifizierungsprogramme ignorieren jedoch das traditionelle Wissen der Maya-Hebammen und den kulturellen Umgang der indigenen Bevölkerung mit dem eigenen Körper. So berichten sie etwa davon, dass sie im Krankenhaus ausgezogen würden als seien sie Kinder. Letztlich wird aus einer eigenverantwortlichen Maya-Hebamme eine den Anweisungen der Ärzt*innen unterstehende Hilfskraft mit traditioneller Bluse. Gegen diese Abwertung setzt sich OMIECH und insbesondere der von Micaela Ico Bautista koordinierte Bereich „Area de mujeres y parteras“ ein. Abgesehen davon ist die Vernichtung des traditionellen Maya-Hebammenwissens und -Standes lebensgefährlich für die Schwangeren aus dem Hochland, da sie keine Mittel und Möglichkeiten haben, den zum Teil stundenlangen Weg in die Stadt San Cristobal anzutreten, und somit ist ohne die traditionelle Geburtshilfe der Maya-Hebammen das Leben der Frauen und ihrer Kinder gefährdet.
Was geht uns das an, was haben wir damit zu tun?
Sowohl die Geburtshilfe als auch die Frauenheilkunde unterliegen in Europa einem Medizinkonzept, dass sehr effizient und technokratisch ausgerichtet ist. So endet fast ein Drittel aller Geburten in Deutschland in einem Kaiserschnitt. Eine Zahl, die auch von der WHO als viel zu hoch angemahnt wird, denn der Kaiserschnitt sollte eigentlich das letzte Mittel sein, wenn das Leben von Mutter oder Kind bedroht ist. Die mühsam erkämpfte sanfte Geburtshilfe durch freie Hebammen, die zu Hausgeburten kommen oder in Geburtshäusern praktizieren, wurde durch astronomische Versicherungsgebühren und weitere Einschränkungen der freien Hebammentätigkeit zunehmend behindert. Als Ergebnis können wir sehen, dass „Gewalt unter der Geburt“ von immer mehr Menschen beklagt wird.
PROGRAMM 16. September 2023
Die Medizin der Maya
15 – 17 Uhr | 3. OG, großer Raum, MüZe Süd e.V.
Filmvorführung mit anschließendem Gespräch
Die drei Dokumentar-Kurzfilme von Agripino Icó Bautista zeigen die Arbeit indigener Heiler*innen und Hebammen des Projektes OMIECH, der Organisation indigener Ärzt*innen im Bundesstaat Chiapas, San Cristobal de las Casas, Mexiko. Der indigene mexikanische Filmemacher lässt uns teilhaben an der Geburt eines Kindes, schamanischen Praktiken und der tiefen Verbindung der Heiler*innen mit der Natur.
Im anschließenden Gespräch geht es u.a. um die Situation der Hebammen in Mexiko und in Deutschland, und um die Frage: Wem gehört die Natur?
Der Film wird auf Tzotzil und Spanisch mit deutschen Untertiteln gezeigt. Das Gespräch wird auf Spanisch mit Übersetzung ins Deutsche stattfinden.
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„Ob Kinder, wie viele oder keine, entscheiden wir“
17.30 – 19.30 Uhr | 3. OG, Raum 1, MüZe Süd e.V.
Workshop mit Micaela Ico Bautista
Diese Parole hat sich auch der „area de mujeres y parteras“ (dt.: Bereich Frauen- und Hebammenwesen) auf die Fahnen geschrieben. Auch wenn es für die meisten Frauen in den indigenen Gemeinden keine Frage ist, Kinder zu bekommen, so haben sie durchaus den Wunsch, selbst zu entscheiden, wie viele Kinder sie bekommen und auch in welchem Alter. OMIECH, und ganz konkret Micaela Ico Bautista, leisten dabei eine sehr wichtige Arbeit, indem sie in unzähligen Workshops im Hochland die Frauen aufklären und über Verhütung durch Pflanzen informieren. Dieses Wissen wurde bei OMIECH gesammelt und in verschiedenen Broschüren veröffentlicht. Im Bellis-Verlag sind acht dieser Broschüren übersetzt und in einem Buch veröffentlicht worden.
Der Workshop mit Micaela Ico Bautista soll ein Anfang sein, sich auch hier dem alten Wissen wieder anzunähern, das in Europa vor der brutalen Ermordung von Kräuterheilkundigen als angebliche Hexen existierte. Und durch den vor kurzem abgeschafften § 219 a war in Deutschland bis vor kurzem jegliche Information über verhütende und blutungsauslösende Pflanzen unter Strafe gestellt als Werbung für Abtreibung.
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Biopiraterie und wem gehört die Natur?
17.30 – 19.30 Uhr | 3. OG, Raum 2, MüZe Süd e.V.
Workshop mit Agripino Ico Bautista
Es scheint, als würde die Sozialisation in den reichen Ländern uns von Kindesbeinen an lehren, es als Grundrecht zu verstehen, dass der smartere, geschäftstüchtige Mensch, der das Spiel des Kapitalismus meisterhaft spielen kann, das Recht hat, sich alles auf diesem Planeten Erde unter den Nagel zu reißen.
Wenn wir durch unsere auf Konsum ausgerichtete Lebensweise den Klimawandel immer weiterbefördern, gibt es nicht etwa ein Umdenken in Bezug auf diese Lebensweise, sondern gar eine zeitweise Verdunklung der Sonnenstrahlen durch Geoengineering, ungeachtet der langfristigen Folgen. Auf dem Land indigener Gemeinden in Chiapas und weltweit werden Böden privatisiert und Genpflanzen angebaut. Seit der Entwicklung der CRISPR/Cas-Methode (Gen-Schere) werden diese angeblich harmlosen, genetisch modifizierten neuen Pflanzen angebaut. Um gefährliche Krankheiten wie Malaria zu bekämpfen, werden genetisch veränderte Anophelesmücken in die Welt entlassen, die unfruchtbar sind. Und in der Medizin werden ganzheitliche Medizinkonzepte wie Ayurveda, die Traditionelle Chinesische Medizin, Homöopathie, die Maya-Medizin und alle traditionell seit Jahrhunderten, zum Teil Jahrtausenden, praktizierten Medizin-Konzepte herabgewürdigt. Dies ist meist der erste Schritt, dem dann der zweite, die Ausschaltung dieser ganzheitlichen Medizinkonzepte folgt. Damit einher gehen der Raub traditioneller Pflanzen und neuerdings der Nachbau samt Patentierung der dabei vorgefundenen Pflanzenwirkstoffe.
Dieses Thema geht alle Menschen etwas an – die Zerstörung der Biodiversität, die Anmaßung, nur kapitalismusfreundliche Lösungsideen zuzulassen, die Ausschaltung aller anderen Vorstellungen, wie wir leben, wie Heilung möglich ist, wie geboren wird, wie unser Verhältnis zur Natur, zum Leben und letztlich zum Sterben ist. Dazu braucht es den Austausch mit den Menschen des Globalen Südens; auch und vor allem mit jenen, die im Einklang mit der Natur leben. Sie haben oftmals erheblich bessere Ideen und Praktiken vorzuweisen, wie die Menschheit auf diesem Planeten wird überleben können. Die Erfahrungen, die Agripino und Micaela Ico Bautista in diesem Kampf bereits sammeln mussten, werden Teil und Thema dieses Workshops sein.
Die Workshops finden überwiegend in spanischer Sprache mit Übersetzung ins Deutsche statt.
Im Anschluss an das Programm wird es im MüZe-Café/Kastaniengarten die Möglichkeit zum Austausch und gemütlichen Beisammensein geben. Die Veranstaltung richtet sich an Menschen aller Geschlechter und ist kostenlos. Über einen Wertschätzungsbeitrag freuen wir uns. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.